Newsletter #2: Plauderei Polizei Versammlungskrise

Hey, Leser*in!

Die letzten zwei Wochenenden hat das Park Fiction Team mit der Wunschproduktion für den Uferstreifen begonnen. Zwar fielen zuletzt zwei Tage fast komplett ins Wasser (der Aufbau unserer Tools ist recht aufwendig), trotzdem gab ‘s ausgesprochen viel Feedback, Analysen, Gespräche, über-den-Tellerrand-denken.


Jeder Aufbau, jeder Arbeitsbogen, jede Gesprächsnotiz wird archiviert.

Foto (c) Saba Sedaghati / Park Fiction 2020

LOB DES PLAUDERNS


Die nachbar*innenschaftliche Unterhaltung wird ja gerne, wie der gesamte Alltag, als unpolitisches Lala abgetan. Nicht von uns: “The first fundamental act of the Zapatista Army was to listen and to talk.“* Wir wissen, dass manchmal dieser ganze wohldurchdachte Aufwand nichts anderes ist, als eine kuschelige Provokation, um ins Gespräch zu kommen.

Zum Beispiel mit Leuten, die skeptisch sind. Oder mit denen, die es am besten fänden, wenn alles so bleibt wie es ist. Gerade diese Meinungen brauchen wir. So ausformuliert wie möglich, so drastisch wie es euch gefällt. Am besten schriftlich. Auch ein deutlicher Ablehnungskatalog kann Teil einer planerischen und programmatischen Agenda sein.

Die nächste Gelegenheit dazu kommt – falls der Regen bis dahin nachgelassen hat – am nächsten Freitag, Samstag, Sonntag, von Dreiuhrnachmittags bis Dunkelheit.Mit der Wunschproduktion starten wir auch, weil St. Pauli Süd seit einigen Jahren gespalten ist und politisch unter Form spielt. Und wir starten damit jetzt, weil die Politik des Plauderns an der frischen Luft in Zeiten von Corona eine Möglichkeit sein kann, ganz locker politisch zu intervenieren.


Bei gutem Wetter im Park: Wunschproduktion für den Uferstreifen.
Foto (c) Park Fiction 2020



KRISEN DES VERSAMMELNS**

Dabei wollen wir gar nicht verhehlen, was für ein existentieller Angriff der Coronavirus auf die Menschen als soziale Wesen im allgemeinen, und für den Stadtteil St. Pauli mit seinen sex-, tanz-, musik- und alkohol-basierten Begegnungsstätten im Besonderen ist. In einer solchen Krise würden wir natürlicherweise damit reagieren, dass wir zusammenkommen, um uns zusammen gegen die Bedrohung zu wehren. Und dass genau das jetzt nicht geht, ist gerade für emanzipatorische Bewegungen ein Einschnitt.

Umso mehr, wenn man bedenkt, dass die körperliche Begegnung von Unterschiedlichkeiten im urbanen Raum die verbindende neue Qualität der jüngsten Aufstandsbewegungen weltweit waren (eigentlich ein Revolutionszyklus, wie Bini Adamczak in „Beziehungsweise Revolution“*** schreibt): Barcelona, occupy, arabischer Frühling, Gezi, um nur einige zu nennen, hatten diese Vorwegnahme eines ersehnten, die Konkurrenz überwindenden, sich kümmernden Zustandes im Kern ihrer Praxis.


Aktionen die den gewünschten Park vorwegnehmen: Anne zeigt zwischen parkenden Autos, wie sich Grillmaster Flesh 1995 die Zukunft als Park vorstellt 
Foto (c) Park Fiction 1995
 

Der Wiener politische Theoretiker Oliver Marchart beschreibt in seinem neuen Buch Conflictual Aesthetics – Artistic Activism and the Public Sphere**** diese Methode als „pre-enactment“, als „artistic anticipation of a political event“.Was Marchart pre-enactment nennt, ist weniger ein künstlerisches Verfahren im Stil von Jeremy Deller, als vielmehr ein ergiebiger Name für Facetten politischer Zukunftsorientierung, wie Drehli Robnik in der SKUG***** über das Buch schreibt. Gegen die mönchische Verzichtslogik der leninistischen Avantgarden, die alles dem revolutionären Kampf unterordnen (denn ein gutes Leben kommt erst danach), mache Marchart eben die performative Eigenlogik der Assemblies geltend, mal mit Hannah Arendt, mal mit David Graeber. Gegen die Tragik des Utopismus, der im politischen Handeln nur ein Scheitern sieht, setze er das vorwegnehmende enacting demokratischer Beziehungen im hier und jetzt, im kleinen Maßstab und als Vorgriff.

Wer jetzt denkt, kenn ich doch, Arrivati Park, Euromayday, St. Pauli selber machen – hat ganz recht: Genau diese Formen des pre-enactments gab es in Hamburg unter anderem Namen schon recht früh. Bei Park Fiction 1995 – 1997 noch modellhaft als „Aktionen die den gewünschten Park vorwegnehmen“, dann mit einer ersten Stadtteilversammlung bereits 2009, auf der wir uns gegen die Beachclubs und bereits für eine selbstorganisierte Wunschproduktion für das Elbufer aussprachen.


„Lass‘ uns zusammen was essen“, Nachbarschaft lädt Neuhamburger*innen der Lampedusa-Gruppe zum Grillen in den Park Fiction. 
Foto (c) Park Fiction / Margit Czenki, Mai 2013  


Ein Echo dieser weltweiten Bewegungen gab es auch im Park Fiction – etwa 2013 mit den Gezi-Solidaritäts-Aktionen, mit Taksim Pianist Davide Martello und der Feier von Besiktas- und St. Pauli Fans, oder mit Aktionen wie „Lass uns zusammen was Essen“ mit den Lampedusa Refugees im Park.

„Plötzlich waren Küche und Care-Arbeit im Zentrum statt außerhalb der Versammlung.“ schreibt die Künstler*in , Forscher*in und Nachbar*in Sibylle Peters** im jüngst erschienenen Artikel über dasselbe Phänomen. Dann kam Corona, und selbstreflexiv wird Peters deutlich: „Es ist kein Geheimnis – die meisten von uns haben die Meetings und Plenen gehasst und den Moment des Tages ersehnt, in dem sie sich in ihre Kokons verabschieden durften. (…) …gerade die Versammlungsmacher*innen sollten die Versammlungsmüdigkeit nicht übersehen. (…) Ein Jahrzehnt ohne Versammlungen – diese Vorstellung macht mir Angst, denn ich glaube, dass wir Versammlungen brauchen… Und doch sehe ich in der Versammlungsmüdigkeit auch die Chance auf neue, unbequeme Fragen (…): Welche Arten der Versammlung wollen wir nicht mehr und warum? Und welche Art der Versammlung brauchen wir trotzdem, unbedingt und gerade jetzt?“ 



Nach dem Verbot der Demonstration in Hanau werden die Gedenkreden live in den Park Fiction gestreamt. Trotz Regeneinbruch bleiben Viele  bis zum Schluss da. 
Foto (c) Margit Czenki 2020 

ZUSAMMEN RADIO HÖREN

Ganz sicher brauchen wir zum Beispiel Versammlungen wie die zur Erinnerung an die Ermordeten von Hanau. Völlig unnötigerweise hatte die Hamburger Polizei den Trauerzug von der Veddel nach Wilhelmsburg verhindert. Von den rund 1.500 Teilnahmewilligen kamen etwa 500 allein mit List zum Ziel.

Als dann auch noch die Demonstration in Hanau selbst verboten wurde, war klar, dass Park Fiction den spontanen Wunsch nach einer Übertragung der Trauerfeier in den Park unterstützt.

Nach kurzer Zeit erschien auch hier die Polizei und befand, dass das gemeinsame Anhören einer Trauerfeier kein durch die Ordnungshüter zu schützendes Brauchtum, sondern eine unangemeldete Versammlung sei, die man als Obrigkeit stören darf.



Das kann ja heiter werden, wenn es nun im „Ermessen der Polizei“ liegt, was wer im Park betrauern, tun oder hören darf. Im Kleinen wie im Großen haben wir in Deutschland ein #polizeiproblem, wie bereits einige interventionistische Anrainer*innen wenige Tage zuvor an der Brücke zum Uferstreifen anmerkten.

Öffentliche Räume werden erst durch das Handeln von Menschen zu öffentlichen Räumen. Politik findet nicht nur in Versammlungen statt, nicht nur im Internet, nicht nur in Schriftform, sondern auch in Neon, unter Plastikpalmen und Regenschirmen, in Herzen und Vorstellungswelten.

Wenn es nicht regnet, geht die Wunschproduktion im Park Fiction an den nächsten beiden Wochenenden weiter: Freitags, Samstags und Sonntags, immer von 15 Uhr bis Dunkelheit.

CLIFFHANGER

In der nächsten Ausgabe des Newsletters gibt‘s was mit TIEREN! Ausserdem einen exklusiven Blick in die Park Fiction Action Tools – und die Geschichte einer geheimen Badestelle!

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Fussnoten:

* Subcomandante Marcos, in: Segunda parte: Una Muerte, 2003
** Sibylle Peters: KRISEN DES VERSAMMELNS, in: Urbane Künste Ruhr, Hg. Britta Peters, 2020
*** Bini Adamczak, Beziehungsweise Revolution – 1917, 1968 und kommende, Suhrkamp 2017
**** Oliver Marchart, Conflictual Aesthetics – Artistic Activism and the Public Sphere, Sternberg Press, 2019 
***** Drehli Robnik: Die feindlichen Unterschiede, in: skug, 19. August 2020