Lampedusa Gruppe – Offener Brief an die Nordkirche

Mit einem sehr diplomatischen Offenen Brief an die Nordkirche haben die 
Lampedusa Refugees endlich Klarheit geschaffen über Ihre Positionierung. 
Da die Gerüchteküche in den letzten Tagen überbrodelte, ein wichtiger Schritt.
Wir dokumentieren den Brief hier, weil wir die Forderungen der Lampedusa Gruppe in allen Punkten unterstützen, 
und die Logik der Argumentation vollkommen richtig und einleuchtend ist. 

Offener Brief An die Nordkirche und die christlichen Gemeinden - Die
Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge in Hamburg

Die Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa Hamburg"

13.11.2013

Offener Brief An die Nordkirche und die christlichen Gemeinden

Wir bedanken uns sehr für die große Unterstützung aus den christlichen
Gemeinden in Hamburg. Insbesondere die Unterbringung und Versorgung in
St.Pauli aber auch in vielen anderen Stadtteilen. Besonders danken wir der
afrikanischen Gemeinde der Erlöserkirche Borgfelde, die uns jede Woche
zweimal mit warmem Essens versorgt und stets den Kirchraum für unsere
Versammlungen offen hielten.
Wir schätzen es so hoch wie ihr alle seit Monaten uns helft zu überleben
und wie viele von Euch mit uns zusammen für unser Aufenthaltsrecht
protestieren.

Auch deswegen konnten wir in unserem offenen Brief an den Senat sogar
vorschlagen, dass eine Anwendung des § 23 – Gruppenanerkennung – auch
unter Ausschluss von Sozialleistungen für uns vorstellbar wäre. Viele von
uns würden längst arbeiten, viele lernen seit Monaten die Sprache, die
jungen unter uns könnten Ausbildungen machen. Zusammen mit den vielen
Menschen an unserer Seite könnten wir, diejenigen von uns, für die es
schwierig sein kann, Arbeit zu finden, weitere Zeit unterstützen. Dass
dies möglich ist, hat uns die breite und andauernde Solidarität der
letzten Monate gezeigt.

Aber es geht um alle von uns, es geht um eine Gruppenanerkennung. Wir
haben alle eine gleiche traumatische Geschichte in gleicher Zeit, die von
Libyen nach Lampedusa und Italien geführt hat. Dort wurde dies bereits
anerkannt. Wir sind Europas anerkannte Flüchtlinge und brauchen das Recht,
leben und arbeiten zu können. Seit fast 3 Jahren sind nicht nur wir,
sondern auch unsere Familien in großer Not. Wir kämpfen für unser Recht,
unser Leben neu aufzubauen.
Dafür steht unsere Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in
Hamburg“.
Das haben wir immer gesagt. Wir haben auch gesagt, dass jede Hilfe,
Unterstützung und Rat willkommen ist. Aber wir mussten auch immer wieder
klar stellen, dass wir selbst über unser Schicksal und unsere Zukunft
entscheiden, dass wir Opfer der Ungerechtigkeit und Kämpfer für
Gerechtigkeit sind.

Immer mehr Menschen in der Stadt und darüber hinaus fordern mit uns das
Aufenthalts- und Arbeitsrecht für alle. Die politische Führung der Stadt
will keine Lösung unseres Problems.
Der Senat setzte Polizeikontrollen gegen schwarze Menschen in Gang und
hielt Menschen unserer Gruppe für Stunden in Polizeigewahrsam und erzwang
die Abnahme von Fingerabdrücken. Gleichzeitig erhielten wir über die
Bischofskanzlei die Vorschläge des Senats mit der Ankündigung bei Annahme
der Bedingungen die Kontrollen einzustellen.

Die Vorschläge des Senats bedeuten für uns weitere Monate und Jahre der
Unsicherheit. Wir sollen uns in individuelle Aufenthaltsverfahren begeben.
Unser von Italien anerkannter Flüchtlingsstatus wird gegen eine Duldung
eingetauscht. Der Senat betont auch weiterhin, dass unsere
Aufenthaltsgründe nicht anerkannt werden und dass wir dann gerichtliche
Klageverfahren betreiben können. Bis zum Abschluss dieser Verfahren sollen
wir dann nicht abgeschoben werden. Und danach? Wir betrachten dies als
keine konstruktive Lösung, sondern als ein Spiel auf Zeit, um uns später
einzeln abzufertigen. Eine faire und sinnvolle Lösung sieht anders aus.
Darüber wollen wir nach wie vor direkte Gespräche mit dem Senat führen.
Dies haben wir zuletzt in unserem offenen Brief an den Senat vom
28.10.2013 und auf der Pressekonferenz einen Tag später vorgestellt.
Gleichzeitig hat die Führung der Nordkirche über unsere Köpfe hinweg den
Senatsvorschlag akzeptiert und in der Öffentlichkeit beworben. Der
evangelische Pressedienst veröffentlichte die falsche Information, dass
die 80 von uns in der St.Pauli Kirche bei der Behörde eine Duldung
beantragen werden. Das hat viel Konfusion und Misstrauen erzeugt.

Wurde von Seite der Kirche immer wieder betont, dass sie in erster Linie
rein humanitäre Hilfe leistet, heißt es jetzt, dass die Bischöfin der
Nordkirche und der Innensenator Hamburgs eine Lösung besprochen haben, die
ein faires Verfahren für alle darstellen würde. Dies sehen wir völlig
anders und auch Vertreter_innen der Nordkirche haben uns gegenüber
wiederholt geäußert, dass mit dem vorgeschlagenen Verfahren nur einige
wenige eine Chance haben werden.

Die Nordkirche mag ihre Gründe haben – wir haben oft gehört: der Druck des
Senats auf die Bischöfin ist zu groß, der Druck auf die Pastoren der St.
Pauli ist zu groß. Aber dann wäre es fair und anständig dieses auch so zu
sagen, anstatt einige der Gruppe zu überreden, dem zweifelhaften Vorschlag
zu folgen und der Gruppe damit in den Rücken zu fallen. Der ehemalige
Sprecher der Schlafgruppe der St.Pauli Kirche sagte uns im Nachhinein, er
habe das Angebot angenommen, weil der Druck auf die Kirche zu groß war.
Einige andere haben eine Duldung beantragt, weil ihnen gesagt wurde, es
gäbe keine Alternative.

Die absolute Mehrheit von uns lehnt diesen Weg aufgrund seiner
Unsicherheit und aufgrund der gleichen ablehnenden Haltung des Senats ab.
Wir sind enttäuscht und verärgert über die Erklärung der Bischofskanzlei,
mit dem Senat einen gangbaren Weg vereinbart zu haben.
Wir sollen diesen Weg gehen, aber wir wurden nicht in die Verhandlungen
einbezogen. Wir haben niemanden beauftragt, in unserem Namen zu
verhandeln. Wir haben immer direkte Gespräche gefordert. Warum kann dies,
was das normalste und natürlichste ist, nicht respektiert werden? Warum
entscheidet sich die Kirchenführung in einem Moment, wo eine riesige
Solidarität mit uns entsteht, für eine Zusammenarbeit mit dem Senat gegen
unsere Interessen? Warum wird nicht akzeptiert, dass wir für unser Leben
entscheiden? Warum ist es für die Kirchenführung nicht möglich, uns als
gleichwertige Subjekte zu sehen?
Warum wird eine Gruppenlösung von der Nordkirche nicht unterstützt? Warum
soll die Solidarität zwischen uns, die aus unserer gemeinsamen
traumatischen Geschichte rührt, gebrochen werden?
Wir haben alle das Gleiche erlitten und wir brauchen alle das Gleiche. Wie
könnten wir Unterschiede zwischen uns machen?

Wir hoffen Ihr könnt uns verstehen – versucht Euch in unsere Lage zu
versetzen und fragt Euch wie ihr handeln würdet. Wir sind jeder und jedem
dankbar, die/der uns aufrichtig unterstützt und akzeptiert, dass wir die
Entscheidungen über unsere Zukunft treffen.

Wir wünschen allen eine schöne und glückliche Vorweihnachtszeit.

Die Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“ 13.11.2013
http://lampedusa-in-hamburg.tk/