Aufforderung zur Methodendiskussion

Hamburg, April 2022

Die Auseinandersetzung um Park Fiction ist keine Dorfposse. Sie stellt die Selbstorganisation in St. Pauli und über Jahre erarbeitete Methoden in Frage. Dieses Papier haben wir für eine interne / nachbarschaftliche Diskussion im Rahmen von St. Pauli Selber machen verschickt und dort (teils) diskutiert.

Seit den späten Achtzigerjahren steht St. Pauli für eine widerständige Nachbar*innenschaftlichkeit mit großem Erfindungsreichtum, von der wesentliche Neuerungen und Impulse ausgingen1. Wie sonst nur selten, ist es hier gelungen, linke Politiken mit dem Alltags-Gefüge aus informell agierenden Kneipen, Musik- und Kunstszene, Freund*innenkreisen und Fan-Basis des FC St. Pauli zu verweben.

Nun hat eine „Anwohnerinitiative Lärm im Park“ diese Verbindung aufgekündigt. Ob unbewusst oder aus Leichtsinn, wurde eine Steilvorlage für Ordnungspolitik und Sicherheitsdiskurse geschaffen: Die aktuellen Angriffe auf Park Fiction sind Angriffe auf die Selbstorganisation in St. Pauli und Hamburg. Warum?

Park Fiction wäre ohne die heftigen Auseinandersetzungen um die Hafenstrasse nicht denkbar, und ist gleichzeitig eine Abkehr von einer bestimmten Form der Härte, für die diese Kämpfe standen2. Von der Forderung „Die Häuser denen die drin wohnen“ gelangten wir zur Frage „Wer gestaltet die Stadt und den öffentlichen Raum“.

Diese Transformation hin zu einer Suche nach neuen Formen, die Anschluss und Beteiligung für viele und unterschiedliche Leute ermöglichen, war kurz zuvor durch die zapatistische Bewegung in Mexico vorgemacht worden: Statt der Konfrontation mit den staatlichen Autoritäten nahmen die Zapatistas das Gespräch mit der Zivilgesellschaft auf und erzeugten parallele Gegenmacht.

Park Fiction hat, davon inspiriert, in einer selbstverständlich nicht vergleichbaren Situation, ebenfalls einen Parallelen Planungsprozess in Gang gebracht, ohne die Behörden zuvor um Erlaubnis zu fragen. Der Parallele Planungsprozess und die kollektive Wunschproduktion sind die zentralen konzeptuellen Bestandteile von Park Fiction.

Wir hörten auf zu predigen und begannen damit, zuzuhören3– dieses wichtige Prinzip war in Mexico ein Bruch mit dem missionarischen Gestus der antiimperialistischen Rebell*innen, für Park Fiction ein Bruch mit der Autorität von Planungsinstanzen, Architekt*innen, Künstler*innen, Pastor*innen, Sozialpädagog*innen, Behörden, Politik.

Park Fiction ist ein Modell für unabhängig selbstorganisierte dialogische Prozesse. Einladende künstlerische Tools machten aus dem Planungsprozess eine spielerische Plattform des Austauschs4. Das ist komplexer als reine ja/nein-Entscheidungen, erfordert Neugier statt Belehrung, kollektive Untersuchung statt fertigen Plan, Ideen Ping-Pong statt Abfragen, Prozess statt Datenerhebung, sich-gegenseitig-schlauer- machen, gemeinsames Spiel mit Ideen und Entwürfen, Kneten, Durcharbeiten. Diese Wunschproduktion wurde ab 1995 über mehrere Jahre breit getragen.

Die Kunst im Projekt sind nicht die Palmen, sondern die Gestaltung des Prozesses, die Arbeit an den Beziehungsweisen. Die Kunst hat aber in dieser Gesellschaft eine besondere Freiheit, sie hat sogar den Auftrag eigene Regeln, eigene Methoden, eigene Perspektiven zu entwickeln, sie ist ein Freiraum des Informellen.

Deshalb ist sie so ein unverzichtbares Element, wenn sich urbane Praxen in Auseinandersetzungen mit Behörden begeben. Dass wir mit Park Fiction diese Kunstfreiheit auf viele Köpfe erweitern konnten, korrespondiert zutiefst mit den Freiheitsbegriffen antiautoritärer Bewegungen und der undogmatischen Linken.

Diese Methoden, dieses Wissen wurde mit vielen Menschen geteilt, und mit anderen Akteur*innen weiterentwickelt. Bei der Planbude haben einige von uns das Prozessdesign und die Methodik präzisiert und die Auswertungsmethoden verfeinert, an der Frage gearbeitet, wie an den Rand gedrängtes Wissen vieler unterschiedlicher Menschen in einen Prozess und in unsere Teams hinein kommen kann. Der „St. Pauli Code“ ist ein Beispiel dafür, wie eine solche Übersetzung ohne Betrug gelingen kann, und wie daraus Leitlinien und Programmatik für Planung werden können. Das ist ein sehr verantwortungsvoller Prozess.

Nicht nur bei der Planung, auch beim Gärtnern geht es darum, Beziehungen aufzubauen. Am Park arbeiten wir mit wechselnder, ehrenamtlicher Intensität und in immer neuen Konstellationen weiter, für alle sichtbar und öffentlich. Auch nach innen ist das Park Fiction Komitee kein funktionalistischer Zusammenhang, sondern neugierig, an Personen, an Austausch und neuen Erfahrungen interessiert.

Die Autonomie wie auch die informelle Prekarität unserer Arbeit ist Absicht, wir wollen nicht zur Institution werden.

Wie nun kommt der Konflikt in die Geschichte?

Der Leidensdruck bestimmter Anlieger*innen durch nächtlichen Lärm, ist bekannt.

Park Fiction hat mit „Die Füsse in die Elbe strecken“, der Planung des Uferstreifens als Entlastung und Erweiterung von Park Fiction reagiert.

Diese Wunschproduktion wurde von einem Teil der „Initiative Lärm im Park“mit einem Offenen Brief abgelehnt.

Ein gemeinsames klärendes Gespräch in angenehmer Atmosphäre, wurde coronabedingt abgesagt und nicht – wie verabredet – zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen.

Stattdessen gab es ein Hinterzimmergespräch der „Initiative Lärm im Park“ mit der Behördenleiterin des Bezirks Altona, mehrere Auftritte und einen Antrag beim Bezirksparlament – ohne das irgendwie öffentlich zu machen.

Anlage 1 Antrag der „Initiative Lärm im Park“ 5

Eine „Kleine Anfrage“ der CDU beim Senat mit zerstörerischem Inhalt und die desaströsen Artikel der MOPO im selben Tenor, waren die Folgen.

Anlage 2 Kleine Anfrage der CDU

Anlage 3 MOPO-Artikel

Die Büchse der Pandora ist geöffnet: Anträge, Artikel und Angstraum-Diskussionen legitimieren die Festschreibung als „Gefährlicher Ort“ und faktisch das racial profiling und die Zersetzung nachbarschaftlicher Alltags-Solidarität durch Polizeiarbeit. Was aus echter Betroffenheit begonnen hat, hat den Pfad emanzipatorischer Stadtteilpolitik verlassen, Lösungen werden bei Institutionen gesucht, sogar die eigene Bedrohung durch Linke wurde herbeifantasiert6, und all das hat den Vorwand geliefert für eine Offensive gegen die im Viertel entwickelten Methoden der Planung, und gegen die Symbole und Orte der Selbstbestimmung.

Wir begrüßen, dass sich einige Beteiligte nachträglich kritisch dazu geäussert haben – doch die Probleme sind dadurch noch nicht vom Tisch:

– Das Ergebnis des Antrags, der Beschluss des Bezirksparlaments, muss nun umgesetzt werden.

Anlage 4 Beschluss des Bezirks

Anlage 5 Anhang zum Beschluss, der von der Behörde nun „abgearbeitet“ werden muss

– Nötige Aktualisierungs- und Reparaturarbeiten im Park Fiction sind gestoppt, weil der Beschluss Vorrang hat.

– Wir sehen uns derzeit gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und uns an einem Gespräch zu beteiligen, das wir eigentlich nicht gut finden: Mit den Leiter*innen der Bezirke Altona und Mitte, Behördenvertreter*innen und der Initiative „Lärm im Park“. Ein weiterer Termin in diesem politisch aus unserer Sicht eher problematischen Format steht Anfang Mai an.

– Einer seit Jahren informell – aber zuverlässig – mit künstlerischen Methoden an der Demokratie arbeitenden Gruppe wird auf diese Art, eine (bürokratische) Arbeitsweise, die formelle Zusammenarbeit und Bündnispolitik aus NIMBY-Perspektive aufgezwungen.

Wie kommen wir aus dieser Situation wieder heraus?

Park Fiction Komitee

1Angefangen von der antifaschistischen Fanorganisation rund um den FC St. Pauli in den frühen 90ern war diese Gemengelage massgeblich beteiligt am antirassistische Telefon, an den Hamburger Wohlfahrtsausschüssen, Park Fiction, Buttclub, Schwabinggrad Ballett, Es regnet Kaviar – Aktionsnetzwerk gegen Gentrification, No BNQ, SOS-St. Pauli, St. Pauli selber machen, Lampedusa in Hamburg, Recht auf Stadt, Klobürstenbewegung gegen Gefahrengebiete etc.

2Diese Bemerkung ist nicht als Kritik an der autonomen Miltianz gemeint – ohne die damalige Entschlossenheit wäre die Hafenstrasse nie durchgesetzt worden. Doch auf die Dauer neigen Militanzrituale zur Verselbstständigung, und sie schließen eine Menge Leute aus. Deshalb versuchen Post-Autonome andere, Anschlussfähigere Formate.

3Dieses Prinzip wird ausführlich diskutiert in der „Sechsten Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald“ der EZLN, ebenso wie dort erklärt wird, was die Zapatistas unter der zuvor erwähnten „Zivilgesellschaft“ verstehen. https://enlacezapatista.ezln.org.mx/sdsl-de/

4Kester, Grant H.: „Park Fiction, Ala Plastica and Dialogue“, s. 24 ff. in: „The One and The Many“, Duke University Press, 2011

5Die genannten Anlagen bringen wir zum Treffen am Montag 25. April mit

6So äussert ein anonymer Vertreter der „Anwohnerinitiative Lärm im Park“ gegenüber der Hamburger Morgenpost, er wolle sich nicht outen, denn sonst würde ihm „ein Schweinekopf auf die Türschwelle gelegt“, den linken Kritiker*innen der Ini wird also unterstellt, zu denselben Methoden zu greifen, wie anti-muslimische Nazis. Auch in Anschreiben des Wohnprojekts an die Presse wird die Andeutung platziert, es habe gegen sie „auch Bedrohungen“ gegeben.