Kollektive Wunschproduktion und das Recht auf Stadt

„Eines Tages werden die Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Strasse gehen“ – mit diesem Satz markierte Park Fiction 1996 die Wunschproduktion für den damals noch nicht existierenden Park am Pinnasberg.

„Park Fiction hat das Ziel, eine für die Kunst wie für die Stadtplanung neue, intensive Form der Beteiligung in Gang zu bringen. Park Fiction will mobilisieren, Wünsche sammeln, koordinieren, vermitteln, teilweise realisieren und dokumentieren. Die AnwohnerInnen-Planung soll sich auf alle Bestandteile des Parks erstrecken. Aus ParkkonsumentInnen werden ParkproduzentInnen. Nicht der Künstler und seine Vorstellungen stehen im Mittelpunkt, sondern die kollektive Wunschproduktion im Stadtteil.“ (Park Fiction Post, 1998)

Park Fiction hat den Begriff „Wunschproduktion“ 1995 als erstes in die Stadtentwicklung eingeführt.

Der Begriff „Wunschproduktion“ wurde noch in den 70erjahren in der Linken ganz anders verwendet – aus dem Denken der Kritischen Theorie heraus kennzeichnete Wunschproduktion so etwas wie Werbung, bzw. eine „Bewusstseinsindusdtrie“, die „falsche Wünsche“ in die Köpfe der Konsumenten pflanzt.

Diese Auffassung interessiert Park Fiction nicht. Wir beziehen uns auf die positive Verwendung des Begriffs „machine désirante„, auf die von Gilles Deleuze und Felix Guattari beschriebene „Wunschmaschine“. Die beiden Denker schrieben in der Zeit nach 1968 den „Anti-Ödipus“, „Rhizom“ und „Tausend Plateaus“, und die Begriffe „Wunschproduktion“ und „Wuschmaschine“ benutzen die Franzosen fast Synonym. Doch was meinen sie damit?

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Modell für ein Baustellenschild für den Park von Hans-Christian Dany und Christoph Schäfer, 1995

 

G & D kritisieren sowohl Karl Marx als auch Sigmund Freud: Am Marxismus nervt sie, dass das „Unbewusste“, das „Subjektive“, das „Imaginäre“ und das „Begehren“ eine viel zu kleine Rolle spielt, obwohl es doch um Kräfte geht, die die Gesellschaft vorantreiben und gestalten. An Sigmund Freud kritisieren sie, dass dieser das „Unbewusste“ zu einem Theater umdeutet und es auf einen Raum der Repräsentation reduziert, der in Bezug auf die Wirklichkeit interpretiert werden muss. D & G sehen das Unbewusste im Gegensatz dazu als produktiv an, als den Maschinenraum des Imaginären, in dem die Wünsche produziert werden, also als etwas aktives, das gar nicht vom Wirklichen zu trennen ist. Die Wunschmaschine ist zudem etwas überindividuelles, wie zum Beispiel ein guter Rave, ein Gefüge aus Menschen + Körpern + Rhythmus + Vibe + elektronische Verstärkung + Symbole und Anziehsachen und mehr. Oder die Besetzung des Gängeviertels, eine Nacht im Pudel, ein unerwarteter Flirt, eine Kinderbande oder ein Piratenschiff.

„Eines Tages werden die Wünsche die Wohnung verlassen und auf die Strasse gehen… Noch führen sie ein gering geschätztes Leben, in Schachteln voller Lieblingsgegenstände, in ver­steckten Liebesbriefen, in verworfenen Romanfragmenten, in traurigen Briefmarkensammlungen, in im Restaurant abgeknipsten Pflanzenablegern. Sie leben in Vasenform, als verknicktes Poster, als abgetretener Teppich, als Mickeymaustelefon, in technischen Geräten einer vergangenen Epoche, in verstaubten Reisesouvenirs, überwintern in Deiner
Plattensammlung. Sie werden nervös. Sie haben es satt, das Leben im Halbdunkel. Sie wollen raus, in die Stadt. Sie wollen andere Wünsche treffen, sich streiten, produktiv werden […]“ (Park Fiction, Film, Margit Czenki 1999: 01.42)

Park Fiction hat den Begriff der Wunschproduktion auch deshalb verwendet, um sich vom windelweichen Begriff der „Partizipation“ abzugrenzen, oder von der Unverbindlichkeit einer „Zukunftswerkstatt“. Wunschproduktion heisst für uns, dass es keine Neutralität gibt, sondern eigene Wünsche – in unserem Fall zum Beispiel den Wunsch nach einer gemeinsamen Plattform des Austauschs, selbst entwickelte Planungs-Tools, der Wunsch sich mit den Wünschen von anderen „zu verketten und verknüpfen“, ideen hin und her zu spielen, den Wunsch gemeinsam die Stadt zu verändern, neue Planungsverfahren und einen tollen Ort zu schaffen.

 

Bekleuchtetes Parkschild, einfach aufgebaut von Willy, mit Strom vom Pudel , 1996
Bekleuchtetes Parkschild, einfach aufgebaut von Willy, mit Strom vom
Pudel , 1996

 

Anders als eine bürokratisch-staatlich organisierte Partizipation, die davon ausgeht, dass das, was es zu verteilen gibt, zunächst mal denen gehört, die es im Alltag verwalten (Staat, Unternehmen, Politik…), und die von diesem Kuchen ein Stück (part) abgeben, sind wir mit der Wunschproduktion anders vorgegangen: Wir haben uns „Stücke“, die uns interessieren, genommen und selbst in einem „parallelen Planungsprozess“ bearbeitet. zunächst ohne mit den Autoritäten zu sprechen oder von der Politik zu fordern, haben wir mit den Leuten im Viertel gearbeitet, diskutiert, Ideen entwickelt, ausprobiert, uns gegenseitig schlauer gemacht, und für diese Ideen geworben.

Zunächst gab es auch Kritik an der Verwendung des Begriffs „wunschproduktion“: Dieser sei zu sperrig, man verstehe nicht was wir meinen, das sei schlechte Kommunikation etc. Das kann man so sehen, aber mit dem Begriff ist eben auch etwas anderes gemeint als mit den soziologisch gefestigten und erstarrten Begriffen der „Interaktion“ oder der „Intersubjektivität“. Tatsächlich konntenm wir längst auf eine anbrechende Massenkreativität setzen, die, technisch verstärkt, erst später, mit der Verfügbarkeit von blogs, youtube, videohandies und anderen Plattformen und Geräten unübersehbar wurde.

Grillmaster Flesh: Anne nimmt zwischen parkenden Autos vorweg, was ein Park sein könnte, Park Fiction 1995
Grillmaster Flesh: Anne nimmt zwischen parkenden Autos vorweg, was ein Park sein könnte, Park Fiction 1995

 

Inzwischen wird der Begriff Wunschproduktion hin und wieder gerade von der Sorte Leute verwendet, die ihn damals nicht verstehen wollten, allerdings ohne jede Referenz an seine Urheber*innen auch in Zusammenhängen, die das dahinterstehende Gedankengebäude nicht verstanden haben. Völlig daneben liegt etwa der Wissenschaftsladen Hannover e.V., der unter dem geklauten Titel „Wunschproduktion“ versehen mit dem Zusatz „der Stadtteil seid ihr“ recht unkonkret mit „Bürger/innen“ laboriert. Dort „geht es um die partizipative Entwicklung von Stadtteilutopien“, aber eigentlich um etwas ganz normales und unverbindliches: „Die Ergebnisse sollen im Rahmen des Stadtentwicklungsprozess nutzbar gemacht werden, deshalb wird auch das Programm „Mein Hannover 2030“ der Stadt Hannover kurz vorgestellt. Ziel ist es, die Wünsche der Bewohner/innen bei den Planungen zur Stadt 2030 zu berücksichtigen.“, wie es in der zurückhaltenden Sprache des bürokratischen Laufs der Dinge heißt.

Diesen bisher nicht gut verstandenen Gegensatz arbeitet Wanda Wieczorek in ihrer glanzvollen Diplomarbeit „Park Fiction – Analyse eines selbstorganisierten Planungsprozesses zwischen Kunst, Gemeinwesenarbeit
und Urbanismuskritik in Hamburg-St. Pauli“ heraus.

Kollektive Wunschproduktion statt Aktivierung
Die Betonung aktivierender Techniken und Maßnahmen vor und während des Planungsprozesses geht in Park Fiction Hand in Hand mit der politischen Konzeption der kollektiven Wunschproduktion. Aktivierung wurde jedoch nicht diffus als ‚Anregung zu Beteiligung’ verstanden, sondern konkret als Versuch, private und subjektive Wünsche öffentlich artikulierbar und als politisch relevante Äußerungen verhandelbar zu machen. Es ist daher verständlich, dass diese Vokabel der Gemeinwesenarbeit in Park F iction kaum zur Anwendung kam: der Begriff der Aktivierung enthält an sich keine inhaltliche Stoßrichtung sondern bezeichnet eine Methode. Der Begriff des Wunsches hingegen bezeichnet eine politische Überzeugung: er propagiert eine Strategie der Veränderung ausgehend von produktiven Setzungen des Individuums. Dies markiert die kollektiven Wunschproduktion als eine künstlerische Arbeitsweise, wenn darunter die Artikulation individueller Sichtweisen und deren Übersetzung in eine gestaltete Form verstanden wird. Auch in der Gemeinwesenarbeit, unter anderem bei Alinsky , sind Hinweise auf die Notwendigkeit der Anknüpfung politischer Organisation an die Subjektivität der Beteiligten zu finden, jedoch mit einer stärkeren Tendenz zum kollektiven Ziel und mit der Betonung eher des Widerstands als des eigenmächtigen Entwurfs. Vergleichbar schlagen Boulet / Krauss / Oelschlägel vor, dass es das Ziel des ‚Arbeitsprinzips Gemeinwesenarbeit’ sein müsse, im ‚äußeren Gemeinwesen’ das ‚innere Gemeinwesen’ – das menschliche Wesen mit seinen Interessen und Bedürfnissen – zum Ausdruck zu bringen. Die kollektive Wunschproduktion ergänzt ‚Interessen und Bedürfnisse’ um ‚Imagination’ und fügt damit dem Instrumentarium der Gemeinwesenarbeit eine neue Sichtweise hinzu.

 

Unauthorisierte Planer wie wir
Park Fiction 3 – Beginn der kollektiven Wunschproduktion 1995. Junger Anwohner mit Wunsch.

 

In der selben Masterarbeit stellt Wieczorek bereits 2005 eine Verbindung zwischen dem von Henri Lefebvre (Lefebvre war für Park Fiction sehr wichtig, und wird im ersten amtlichen Hintergrundttext der Gruppe ausgiebig zitiert) entwickelten Begriff des „Recht auf Stadt“ und der Wunschproduktion von Deleuze un Guattari her. :


Das Recht auf Stadt
Die Eigenschaften des spezifisch städtischen Raumes der Gegensätze markieren die Qualitäten einer‚zu sich gekommenen’ verstädterten Gesellschaft. Gegenwärtig bleibt den meisten Menschen die
Entfaltung des Urbanen jedoch durch die kapitalistische Raumordnung verwehrt. Daher formuliert L efèbvre die Forderung auf ein Recht auf Stadt (Le droît à la Ville), das den Ausschluss von städtischer Zentralität aufheben und die Teilnahme an Kommunikation, Information und Austausch gewährleisten soll. In der verstädterten Gesellschaft bezeichnet das Recht auf Stadt ein zivilisatorisches Grundrecht:
„To exclude the urban from groups, classes, individuals, is also to exclude them from civilization, if not from society itself. The right to the city legitimates the refusal to allow oneself to be removed from urban reality by a discriminatory and segregative organization. This
right of the citizen (if one wants, of ‚man’) proclaims the inevitable crisis of city centres based upon segregation and establishing it: centres of decision-making, wealth, power, of information and knowledge, which reject towards peripheral spaces all those who do not participate in political privileges. Equally, it stipulates the right to meetings and gathering; places and objects must answer to certain ‚needs’ generally misunderstood, to certain despised and moreover transfunctional ‚functions’: the ‚need’ for social life and a centre,
the need and the function of play, the symbolic function of space […]“ (L efèbvre 1996:195)

spielplan
park Fiction tools: Stadt eines Textfaltblatts werden Spielpläne in der Nachbarschaft verteilt, auf denen man die Zugänge zur Planung und die Entscheidungsmomente bis zur Realisierung ablesen kann Filmstill Margit Czenki 1998

Der Zugang zum Gebrauchswert der Stadt als Ort der Zusammenkunft und als primäre Ressource gesellschaftlicher Produktion steht im Recht auf Stadt im Vordergrund. Es trägt den Spezifika der entstehenden verstädterten Gesellschaftsform Rechnung und ist gewissermaßen die Losung, unter der der Kampf gegen die segregierende kapitalistische Raumordnung angetreten
werden kann.

 

70

 

Die Produktion von revolutionären Momenten durch Kunst

Dem geforderten Recht auf Stadt liegen nach L efèbvre menschliche Bedürfnisse zugrunde, die er als anthropologische Konstanten betrachtet. Neben den grundsätzlichen und häufig gegenläu-
figen Bedürfnissen nach Sicherheit und Abenteuer, Arbeit und Spiel etc. diagnostiziert er spezifische Bedürfnisse wie das nach kreativer Tätigkeit, nach dem Werk, nach Information, Symbolik und nach dem Imaginären (vgl. L efèbvre 1996: 147). Darin äußere sich ein Sehnen nach Aneignung von Raum und Zeit, das in der Kunst einen Ort und seinen Ausdruck finden könne:

„To put art at the service of the urban does not mean to prettify urban space with works of art […] Rather, this means that time-spaces become works of art and that former art reconsiders itself as source and model of appropriation of space and time. […] Leaving
aside representation, ornamentation and decoration, art can become praxis and poiesis on a social scale: the art of living in the city as work of art.“ (L efèbvre 1996: 173)

Zur Beschreibung der die gegenwärtige Gesellschaftsform transzendendierenden Funktionsweise von Kunst zieht er die Kategorien des Festes (la fête) und des Werks (l’oeuvre) heran. Sie
beziehen sich weder auf spektakuläre Inszenierungen des städtischen Lebens, noch auf einen traditionellen künstlerischen Werkbegriff, sondern auf die Fähigkeit der Kunst, Momente der Präsenz,
der Gleichzeitigkeit und Authentizität herzustellen. Mit dem Begriff des oeuvre weist L efèbvre auf. .die Produktion eines Dings oder einer Situation hin, die sich der Warenlogik entzieht und diese
in Frage stellt. Das oeuvre ist zwar ein Gegenstand, kann jedoch nicht warenförmig konsumiert werden, da es auf die Transzendenz der bestehenden Ordnung zielt und aus einer momentanen Authentizität lebt, die der Ware wesenhaft entgegen steht. Im Wesen der Stadt, das heißt im Gebrauchswert des städtischen Raums offenbart sich nach L efèbvre das oeuvre:
„This city is itself ‚oeuvre’, a feature which contrasts with the irreversible tendency towards money and commerce, towards exchange and products. Indeed, the oeuvre is use value
and the product is exchange value. The eminent use of the city, that is, of its streets and squares, edifices and monuments, is la Fête (a celebration which consumes unproductively, without other advantage but pleasure and prestige and enormous riches in money and
objects).“ (L efèbvre 1996: 66)
In solchen Momenten der temporären Befreiung von den entfremdeten Bedingungen des täglichen Lebens durch die Freisetzung des Begehrens und der Lust am Spiel sieht L efèbvre eine emanzipatorische Praxis und das revolutionäre Potential der verstädterten Gesellschaft aufscheinen. In dieser Hinsicht ist die geistige Verwandtschaft L efèbvres zur Konzeption des Wunsches als ‚produktiver Kraft’ bei Gilles D eleuze / Felix G uattari deutlich erkennbar. Ebenso lässt sich die Konzeption von ‚Situationen’ als entdinglichten Handlungen und als defetischisierender Praxis der Situationistischen I nternationale mit den von L efèbvre konzipierten Momenten parallelisieren.
L efèbvre , den mit der Situationistischen I nternationale zeitweise eine enge Zusammenarbeit verband, sieht in solchen spielerischen Momenten das Aufbegehren der unterdrückten Bedürfnisse
gegen die homogenisierende Ordnung der kapitalistischen Gesellschaft und damit den Keim der Revolution aus dem individuellen Begehren des Subjekts heraus entstehen.


Alle kursiven Zitate aus Wanda Wieczoreks Diplomarbeit:

http://www.wandawieczorek.de/files/WandaWieczorek-ParkFiction.pdf

St. Pauli Fans für Lampedusa Park Fiction 2013