Die Stadt ist ungeschrieben

Urbane Erfahrungen und Gedanken, durch Park Fiction gesehen

Von Christoph Schäfer

Das Ratsamste (…) ist, den Gewalten der mythischen Welt mit List und Übermut zu begegnen. (Walter Benjamin)

Barrikadentage
1987 – 1988 war ein entscheidendes Jahr in dieser Stadt, Hamburg, und in meinem Leben. Der Winter 1987 ging in die Stadtgeschichte ein als die Barrikadentage. Sie sahen mich als jemand am Rande, der (wie so viele) die heroische Besetzung der Hafenstraße unterstützte, aber weit ab von der vordersten Front. Halb St. Pauli, die Gegend um die besetzten Häuser, war voller Barrikaden, mehr, als diese Stadt seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen hatte. Die Polizei konnte die Gegend nicht betreten, und der Piratensender Radio Hafenstraße war 24 Stunden am Tag auf Sendung. Der gewieften Taktik der BesetzerInnen war es gelungen, die Stadt in zwei Teile zu spalten; die sinnlose Polizeigewalt war zu offensichtlich geworden, als dass man sie hätte ignorieren können, und bewegte selbst konservative Bürger dazu, sich auf die Seite der Rebellen zu stellen. Der Hafenstraßenkampf war Tagesschauthema, und Befürchtungen, die Stadt könnte in Flammen stehen, sollte die Polizei versuchen, das Gebiet zu räumen und die Häuser abzureißen, waren nicht übertrieben. St. Pauli war vereint gegen die Regierung, BesetzerInnen aus ganz Europa wohnten in den Häusern und in der St. Pauli Kirche. Autonome Schülerlotsen geleiteten die Kinder über die Barrikaden. Jeden Abend spielten die besten Bands der Stadt auf der improvisierten Bühne vor den Häusern (mit gestohlenem oder von den Nachbarn gestiftetem Strom). In Werbeagenturen war ein „Hafenstraße viel gut!“ Poster das coole Ding. Eine temporäre autonome Zone war entstanden, bevor man sie so nennen würde, ein Stück Land war aus dem Stadtplan der Staatskontrolle herausgeschossen worden. 14 Tage, die bei allen, die das erlebt hatten, einen tiefen Eindruck hinterließen. 14 Tage, die die Linke in Hamburg dazu inspirierten, Projekte wie einen der besten freien Radiosender, FSK (der immer noch sendet) zu gründen, 14 Tage, die ein Netzwerk hinterließen und ein Gefühl dafür, was im Viertel St. Pauli möglich war. 14 Tage, die mich tief beeindruckten.
Dieses Jahr markiert auch einen Wendepunkt – auf Jahre war es die letzte große konfrontative militante Bewegung in der Stadt. Die Barrikadentage waren ein Ereignis, das in seinem Ausmaß, in seinen schockierenden Konsequenz und in seiner überraschenden Radikalität nicht wiederholt und nicht eingeholt werden konnte. Danach beschloss die Stadtregierung, dass so etwas nie mehr passieren dürfe, niemals wieder! Ihr Verhandlungsgeschick wuchs und verfeinerte sich, ihre repressives Instrumentarium wurde angepasst, und stärkere, aber sanft aussehende Instrumente der Integration wurden entwickelt. Es sah aus, als wäre eine ganze Ära linken Aktivismus’, eine Praxis des Widerstands und eine Art zu Denken an einem toten Punkt angelangt.

Heimlich und leise erschien zum selben Zeitpunkt ein neuer Operationsmodus, ein Verschiebung hin zu einer neuen Art sich zu bewegen. Wahrscheinlich wurde diese Verschiebung zunächst in kulturellen Feldern sichtbar und ausprobiert, die gar nicht als politisch verstanden wurden. Was damals begann, fühlt sich wie ein Wendepunkt, ein Paradigmenwechsel an, – und wir stecken mittendrin. Für mich begann es mit Musik, und die kam aus Chicago und Detroit.

Acid House
Der erste Hamburger Acid-Club war das Shag in einem runtergekommenen 60er-Jahre-Komplex auf der Reeperbahn, und das Front, eine hauptsächlich schwule Disko in der City Süd. Dann eröffnete das Opera House, donnerstags im Grünspan, einer vergessenen Rockdisko aus den frühen Siebzigern, auf der Großen Freiheit; Parallel zum dunkleren und schäbigeren Kombinat, das später von seinem ursprünglichen Ort im Keller unter der Meanie Bar in das ehemalige Striplokal Madame Pompadour umzog, um dort zum Unit zu werden.
Wahrscheinlich mehr als bei jedem anderen Musikstil zuvor ging es bei House zu einem entscheidenden Moment mehr ums Mixen (also ums Plattenauflegen) als um Bands. Während Punks das Verhältnis zwischen Band und Publikum durch das Stürmen der Bühne direkt angegangen waren, ging es bei House vor allem um, tanzende Leute und also von vornherein gar nicht erst um Leute-als-Publikum. Konsumenten wurden Produzenten, unumkehrbar. Was auch mit Acid anfing, war die bewusste Idee und Fähigkeit, Situationen herzustellen. Bei Ambient schwingt diese Möglichkeit im Namen mit, überall gab es Chill-Out-Zonen, und mit Raves wurde die kurzzeitige und unautorisierte Nutzung leerer Gebäude, Fabriken, Hallen, Banken oder von ungenutztem Ackerland zur Massenaktivität.

Vielleicht war es die Verwendung von M.D.M.A., die allen die plötzliche Fähigkeit gab, sich gegenseitig zu vertrauen und sich als Teil eines Kollektivs zu sehen, das die Macht hatte, Situationen zu konstruieren, und zwar auf leichthändige Art und Weise. Plötzlich war das städtische Alltagsleben der aufregendste Ausgangspunkt. Die Abenteuerlust trieb uns in die seltsamsten Ecken, ließ uns Begegnungen und überraschende Ereignisse an den unwahrscheinlichsten Orten produzieren. Die Stadt war voller Möglichkeiten. Wir konnten die geheimsten Zeichen lesen, die Codes entschlüsseln und wir waren bereit, sie neu zu definieren.

Jetzt konnten wir die Disko als einen Ort sehen, an dem die Stadt gefeiert wird, als eine Erfindung, die alles das was einem in der Stadt auf die Nerven geht, feiert, verdichtet, steigert, ästhetisiert und in ein Vergnügen verwandelt: wenn die Stadt laut, verschmutz und eng ist, ist die die gute Disko lauter, stickig und verschwitzt, und zum Platzen gefüllt mit Menschen. Plötzlich war es möglich, McDonald‘s nicht mehr nur als ein Symptom amerikanischen Kulturimperialismus’ zu sehen, sondern auch als pseudoneutralen Hintergrund, der es uns erlaubte, die räumlichen Praktiken innerhalb dieser Schnellrestaurants zu analysieren, eine Folie, vor der die deutsche Vorstadtfreizeitgestaltung sichtbar wurde, oder die Modepräferenzen der unteren Mittelschicht in München, oder das Alltagsleben von Familien. Auf der Kirmes sahen wir die automatischen Maschinen, die einen während der Fahrt fotografieren, nicht mehr als trauriges Zeichen kommerzieller Entfremdung, sondern als krankes aber reflexives Gerät, als populären Dan Graham. Und ein Aquarium in einem thailändischen Restaurant war entschieden kein Zeichen von Spießbürgerlichkeit, wie es die Kritische Theorie gern hätte, sondern ein Miniaturgarten, ein Glücksversprechen, ein Fenster zu imaginären Welten.

Beatbomben


Einer der Ansätze von Park Fiction wurzelte sicher in dieser veränderten Perspektive, in dieser neu entdeckten Fähigkeit, Räume zu definieren. Ein Rave mit dem Namen Park Fiction auf St. Pauli – Beatbomben auf Berlin taufte die kleinen Stücke Land, die an der Hafenmauer übriggeblieben waren, halb ironisch um, je nach ihrem alltäglichen Gebrauch. (wie “Hafentreppenhundepark” für den Platz zwischen den besetzten Häusern, wo ein paar verrotte Punkhunde herumstreunten, oder der “Bierdosenpark” für einen kleinen Abhang, der normalerweise von Säufern bevölkert wird, die wie die letzten, unrasierten Überbleibsel der Konföderierten Armee aussehen, und verwandelten diese “Parks” in unterschiedliche areas für diesen Rave – und der Name des Projekts war geboren.

Eine andere Wurzel oder vielmehr ein Rhizomschößling war das Nachbarschaftsnetzwerk und die Erfahrungen, die vom Hafenstraßenkampf übrig geblieben waren. Mit Park Fiction haben sich zwei Handlungslinien getroffen: Nachdem der militante Aktivismus der achtziger Jahre seinen Schwung verloren hatte, nachdem die Besetzungen legalisiert worden waren und die früheren KämpferInnen sich in ihre Häuser zurückgezogen hatten, nachdem das Private wieder privat geworden war, mussten wir andere Wege finden, um den öffentlichen Raum als ein Gebiet der Auseinandersetzung zu öffnen. Das Projekt war erfolgreich, weil Nachbarn und Leute aus den Subkulturen, ein sozial gerechtfertigtes Anliegen und eine Politik des Begehrens sich verbündet haben, Plattformen der Zusammenarbeit gebaut und es geschafft haben, den Alltag mit dem Imaginären zu verbinden.

Privatisierter Blick, sozialisierter Schatten
Unser Viertel ist das ärmste in Westdeutschland in der zweitreichsten Stadt in der Europäischen Union. Die Situation ist also angespannt. Über 50% der BewohnerInnen haben keinen deutschen Pass. Es ist eng bebaut, öffentlicher Raum ist rar und stark benutzt durch Tourismus, Cappuccinosüchtige und das Sexgewerbe.

Die Stadt plante, die letzte Aussicht dieses Viertels auf den Fluss mit einem millionenschweren Gebäudekomplex am Hafenrand zuzubauen. Die AnwohnerInnen wollten diese Gebäude nicht, wir wollten lieber einen öffentlichen Park. Aber die Behörden hatten solche Forderungen bisher immer ignoriert. An diesem Ort war die Forderung umso hoffnungsloser, da das Elbufer, der Hafenrand, Orte sind, an denen die Macht sich gerne repräsentiert. Als Park Fiction 1995 in Schwung kam, wurde der Hafenrand an Firmen aus der Neue-Medien-Branche verkauft. Das Projekt befindet sich also an einem hoch symbolischen Ort. Dinge, die anderenorts vielleicht als interessant und mit einem alternativen Flair behaftet durchgehen würden, sind an diesem Ort automatisch mit der Macht und der herrschenden konfrontiert. Jeder Schritt, den du machst, ist in dieser Schaufenstersituation symbolisch. Und die jetzt herrschende Ideologie in der Stadtpolitik ist die Tendenz in Richtung Imagepolitik – Hamburg verkauft sich als die Neue-Medien-Hafen-Stadt.

Hamburger Schule


Park Fiction arbeitet in einem lokalen Netzwerk: Nachbarn, soziale Institutionen, die Kirche, BesetzerInnen, KünstlerInnen, Kaufleute und CafébesitzerInnen zusammen mit der sehr starken Hamburger Musikszene um den Golden Pudel Klub in einem winzigen alten Haus mitten im Park, (das die Regierung auch gern abgerissen hätte). Der Pudel wurde von Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni gegründet, Musiker aus der Szene um die Goldenen Zitronen , die in den achtziger Jahren als Punks angefangen hatten, die während der Hafenstraßenkämpfe gespielt und viele Angebote großer Plattenfirmen abgelehnt und einen Raum für Dichtung, KünstlerInnen und experimentelle Bands geschaffen hatten. Als Techno dumm und mainstream wurde, schauten sich diese Bands Beat wieder an, taten sich mit frühem deutschem HipHop zusammen, gründeten die antifaschistische Allianz Wohlfahrtsausschuss, organisierten Fahrten zu naziverseuchten Orten in Ostdeutschland und entwickelten sehr differenzierte, selbstreflexive und ironische Musikstile. Bands die du kennen solltest, wie Les Robespierres, Blumfeld, Die Sterne, Stella, Bernadette La Hengst, Knarf Rellöm, Sylvesterboy, oder später die Absoluten Beginner, Chicks on Speed or Lawrence, hatten wahrscheinlich eines ihrer ersten Konzerte – oder aber einen Job am Plattenteller oder hinter der Bar – im Pudel Klub.

Die Wirkung der Verbindung zwischen Park Fiction und dem Pudel kann gar nicht überschätzt werden, denn sie öffnete ein ganzes Resonanzfeld in den musikalischen Subkulturen, die höchst sensibel für Stil sind und einen Sinn für das Spiel mit Codes haben, (der so oft bei politischen Gruppen und ihren angeblich objektiven Analysen der Verhältnisse fehlt). Und natürlich ziehen Bands eine Menge Leute an.

Das erste Jahr, in dem der Park gefordert wurde, wurde vor allem von Netzwerken getragen, die von den Hafenstraßen-Auseinandersetzungen her noch existierten, besonders von Sozialarbeitern vom Stadteilzentrum GWA, den Pfarrern, und von der visionären Direktorin der St.Pauli Schule. Ihnen war es gelungen, mit Lokalpolitikern zu verhandeln. Im Hintergrund dieser Verhandlungen stand immer noch die Drohung, dass die militanten Kämpfe wieder aufflackern könnten, was die Stadt unbedingt vermeiden wollte. Aber diese klassische Lobbyarbeit drohte nach ungefähr einem Jahr in einer Sackgasse zu enden, als die KünstlerInnen duzustiessen. Zusammen entwickelten wir ein neue Reihe von Praktiken und Konzepten, die von einer Neulektüre der situationistischen Texte und der Schriften von Henri Levebvre beeinflusst waren, Praktiken, die in der selbstorganisierten Kunstszene in den früher neunziger Jahren erprobt worden waren, aus Reflexionen über demokratische Kunstprojekte und Konzeptkunst und aus einer Unzufriedenheit mit den Grenzen von Kunst in der Öffentlichkeit und aus den oben beschriebenen Acid-Erfahrungen heraus. Diese Konzepte beschreiben den Übergang von der Forderung nach einem Park zu Park Fiction.

Die Produktion von Wünschen


Die Schlüsselidee von Park Fiction ist es, eine parallelen Planungs Prozess und eine kollektive Wunschproduktion für den Park zu organisieren – ohne dazu von den Behörden beauftragt worden zu sein. Wir entwickelten ein paralleles und offenes Planungsverfahren für einen realen Ort und brachten dabei künstlerische und gesellschaftliche Bewegungen zusammen, ohne in die Falle zu tappen, dem „legalen“ Weg der begrenzten Beteiligung zu folgen, den das bürokratische System vorsieht.

Das Planungsverfahren wurde durch ein Programm ergänzt, das wir Infotainment nannten, Vorträge über Parks und Politik, Parks und ihre politischen und ideologischen Hintergründe: „Kunst und Politik haben sich gegenseitig schlauer gemacht“ (Margit Czenki).

Linke politische Gruppen genauso wie die Herrschenden unterschätzen die Kunst für gewöhnlich – sie nehmen sie einfach nicht ernst. So traurig das manchmal ist, ist es doch gelegentlich auch nützlich. Wir begannen völlig unbeachtet mit der kollektiven Wunschproduktion, veranstalteten Vorträge und Ausstellungen zum Thema Park in allen Schaufenstern, in der Schule, in der Kirche und so weiter, und schufen so ein kleines paralleles Wissensuniversum.

Aktivitäten, die den Park vorwegnehmen, wurden auf den Straßen und dem Hang veranstaltet: Freilichtkino, Agitprop-Diashows, und Raves. Kurz nachdem wir damit angefangen hatten, wurden Cathy Skene und ich von der Hamburger Kunstkommission (die damals noch nichts von Park Fiction wusste) dazu eingeladen, ein Projekt für Kunst im öffentlichen Raum zu entwickeln. Wir dachten eine Woche nach und entschieden dann, dass wir nicht irgendwo eine Skulptur aufstellen wollten, sondern lieber Park Fiction vorschlugen. So wurde der Park auf verschieden Ebenen durchaus real – im Viertel, in der angesagten Musikszene und national in der Kunstszene, bevor wir überhaupt den Staat mit unseren Forderungen konfrontiert hatten.

Diese konstituierende Arbeitsweise, dieses parallele Planungsverfahren stellt natürlich das herkömmliche System der Stadtplanung in Frage. Als die Politiker die Bühne betraten, fanden sie sich in einem komplexen Feld wieder, in dem sie sich nur mit Schwierigkeiten bewegen konnten. Für einen kurzen Moment hatte wir die Spielregeln festgelegt, hatten eine komplexe, lebendige Vorstellung von dem was wir taten und festen Boden unter den Füßen – und sie waren in der Position der Dummen, sahen langweilig aus und wurden als das entlarvt, was sie sind: Menschen, die Dinge verhindern.

Was sie auch taten: Während die Kulturkommission einer Finanzierung von Park Fiction Anfang 1996 zugestimmt hatten, blockierte der Senator für Stadtentwicklung dies, sobald er später im Jahr davon erfuhr. Im Winter entschlossen wir uns, militanter aufzutreten, um Druck auf die Behörden auszuüben. Aber alles entwickelte sich anders.

Hafenkrankenhaus

Die Stadt beschloss, das sehr populäre Hafenkrankenhaus abzureißen, nur einen Kilometer vom Park entfernt. Nachdem der Senat den ersten Flügel des Krankenhauses geschlossen hatte, wurde das leere Gebäude zu seiner großen Überraschung von AktivistInnen besetzt. Die BesetzerInnen wurden sehr unterstützt im Viertel, es gab wöchentliche Demonstrationen, und, während dieser Demonstrationen, zum allerersten mal überhaupt, einen Streik im Rotlichtviertel. Die Bewegung geriet außer Kontrolle, 1997 war ein Wahljahr in Hamburg, und plötzlich war der Senat zu Verhandlungen über das Krankenhaus und die anderen Probleme von St. Pauli bereit. Für den Park wurde ein Runder Tisch etabliert mit uns aus dem Viertel auf der einen Seite, und dem Senat, Bezirken und Behörden auf der anderen. Runde Tische sind gefährlich, denn ihr Name suggeriert, dass die Macht gleichmäßig verteilt ist, was den ungleichen Status der Teilnehmer verschleiert. Außerdem bedeutet die Auseinandersetzung mit Bürokraten, dass man ihre, nämlich die dominante, Denk- und Verhandlungsweise zumindest halb akzeptiert. Aber es war unvermeidlich geworden, und es gelang uns, uns über den Platz zu einigen, und darüber, dass das Planungsverfahren von Park Fiction organisiert werden würde. Als ein Zeichen des Vertrauens forderten wir, dass die Gelder für das Projekt, die vom Senator für Stadtentwicklung blockiert worden waren, vor der Wahl auf unser Konto überwiesen würden. So geschah es, und wir konnten beginnen.

Geräte
Wir entwickelten Tools: Wie macht man Planung zugänglich?
Wir organisierten das Planungsverfahren als Spiel und verteilten Spielpläne statt Flugblätter, die alle Zugänge zeigten, bei denen man mitmachen konnte. Wir eröffneten einen Planungscontainer, in dem es ein Knetbüro gab, eine Telefonhotline für Menschen, denen die besten Ideen nachts kommen, eine Gartenbibliothek und das Wunscharchiv.
Dazu kam noch der Action Kit – ein mobiles Planungsbüro mit Fragebögen, Plänen, Knetmasse, einem Diktiergerät, einem aufklappbaren Hafenpanorama und einer Instantkamera, um Ideen gleich aufzuzeichnen.
Wir benutzten pseudosoziologische Instrumente und zitierten und recycelten Mittel aus der sozialdemkratischen Ära, und bezogen uns damit auf die gebrochenen Versprechen der Vergangenheit.

Aber wir benutzten diese Instrumente nicht objektiv, wir waren von Anfang an parteiisch. Da normalerweise Beteiligung immer nur dann erlaubt ist, wenn sie niemanden stört und solange sie den Rahmen, der von den Behörden gesetzt wird, nicht in Frage stellt, muss ein offenes Verfahren gegen Regierungseinflussnahme geschützt werden. Mit all unseren Tools und vielen Publikationen spielten wir mit den Formen, die von der Macht, den Konzernen oder den Mainstream-Medien genutzt werden, um unser kleines Projekt in Beziehung zu setzen mit dem real existierenden Reichtum in der Gesellschaft. Der Planungscontainer war in der selben Farbe gestrichen wie die Info Box, die die größte Konzernbaustelle je in Deutschland „vermittelt“ hat, den Potsdamer Platz. (Der Potsdamer Platz ist ein Modell für einen neuen Autoritarismus in der Stadtplanung, wo selbst die rudimentärsten demokratischen Möglichkeiten, das Planungsverfahren zu beeinflussen, ausgeschlossen werden. Als Ersatz für diesen objektiven Ausschluss entwickelten die Bauherren die Info Box mit dreidimensionalen Computergrafiken und allen möglichen interaktiven Spielen.) Unser Container dagegen war angefüllt mit Ideen davon, was die Stadt sein könnte, und bot viele Möglichkeiten, das Planungsverfahren direkt zu beeinflussen.

Die neue Front


1998 wurde in zwei Stadtteilkonferenzen über alle Ideen entschieden. Weil wir nicht wollten, dass die Ideen in langen Diskussionen zerredet und durch einen “alternativen Konsens” neutralisiert würden, entschieden wir demokratisch nur über generelle Funktionen des Parks, und suchten die beliebtesten Entwürfe aus. Nach dieser Entscheidung werden die einzelnen Entwürfe von den Einzelpersonen oder Gruppen, die sie entworfen hatten, auf eine radikal subjektive Weise weiterentwickelt. Der Park wird aus unterschiedlichen “Inseln” mit unterschiedlichen Funktionen bestehen, von unterschiedlichen Leuten entworfen; einige davon sind hier abgedruckt.

Wenn Subjektivität die neue Front des Kapitalismus ist, bekommen künstlerische Praktiken potentiell mehr Macht. Gleichzeitig wohnt künstlerischer Praxis ein Potential für Autonomie inne, Potentiale der Widerständigkeit und der Sperrigkeit. Park Fiction bewegt sich in dieses Feld hinein, indem es öffentlichen Raum für die nicht-kommerzielle Produktion von Wünschen aus der Nachbarschaft öffnet. Diese Strategie steht in Beziehung zum Begriff des immateriellen Arbeiters, wie er von Negri und Hardt entwickelt wurde, und der Idee, dass kreative Produktivität nicht mehr allein die Domäne von KünstlerInnen ist, sondern eine verallgemeinerte Fähigkeit wird. Aber diese Entwicklung hat auch noch eine andere Seite, die mit der Idee von Image-Städten zu tun hat, die ich vorhin erwähnt habe. Diese andere Seite bekamen wir sehr deutlich zu spüren, als 2001 ein Investor ein Gebäude unterhalb eines Teils des Parks kaufte, die Kasematten.

wemgehörtdiestadt
Der Investor führte sich im Viertel ein, indem er erst mal Bäume vor den Häusern in der Hafenstraße fällen ließ. Einen Monat später waren Teile des Parks und die Kasematten plötzlich von Zäunen umgeben und wurden von einem Sicherheitsdienst bewacht. Kurz darauf entstand eine Glas-Aluminium-Struktur vor den Kasematten, und wir erfuhren, was für eine Art Event hier geplant wurde: eine „Media Night“ sollte stattfinden, bezahlt vom Senat, als ein besonderes Ereignis im Rahmen des nationalen Medienkongresses „Hamburger Dialog“.

Diese Ereignisse erwischten uns zu einem Zeitpunkt, als nur sehr wenige Mitglieder aktiv mit Park Fiction involviert waren. Die Direktorin hatte die Schule verlassen, die Pfarrer waren mit anderen Dingen beschäftigt. Veranstaltungen im Park waren mehr oder weniger von Leuten vom Buttclub organisiert worden, einem Diskussionsklub, der von MusikerInnen und KünstlerInnen in Zusammenarbeit mit antirassistischen Gruppen gegründet worden war. Diejenigen von uns, die übriggeblieben waren, protestierten gegen die Nutzung des Park-Fiction-Geländes durch einen Investor und analysierten die Situation in einem Flugblatt mit dem Titel That’s Gentrification!. Das zeigte ziemliche Wirkung und verbreitete sich von selbst. Wir erhielten Unterstützung von Seiten, von denen wir es nicht erwartet hatten – zuerst von der neuen Generation von Elektromusikern aus dem Pudel Klub, die die Ereignisse ganz klar als eine Bedrohung eines der letzten billigen und freien subkulturellen Orte in der Stadt erkannten, und die besonders wütend darüber waren, dass einige der DJs, die auf der Media Night arbeiteten, sonst aber mit ihnen in Clubs auftraten. Dann gab es auch Unterstützung von der Roten Flora, dem besetzten autonomen Kulturzentrum im Norden von St. Pauli, das von der Stadt an den selben Investor verkauft worden war. Und, spät aber deutlich, kam Unterstützung von den früheren BesetzerInnen der Hafenstraße.

Nach unserem Flugblatt schrieb jemand einen gut gefälschten Brief, mit dem die Sache dann richtig losging. In diesem Brief lud die Stadt-Entwicklungs-Gesellschaft (STEG) alle im Viertel dazu ein, während der Media Night die Neue-Medien-Leute „bei einem Glas Sekt“ kennenzulernen… Natürlich dementierte die STEG öffentlich, diesen Brief geschrieben zu haben, und dieses Dementi wurde von allen Zeitungen gedruckt.

Am Tag vor der geplanten Media Night erklärten sich Rocko und Schorsch vom Pudel Klub zu offiziellen Förderern der Sache, verkleideten sich als Investoren mit weißen Bauhelmen und drehten ein schnelles Video über die zahllosen Konzerngebäude, die am Fluss entlang entstehen sollen. Dabei ließen sie den ganzen neoliberalen New-Speak fallen (Win-Win-Situation, subkulturelles Ambiente, Private-Public-Partnership etc.) Wir planten einen Informationsstand und wollten Margits Film “Park Fiction – Die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Strasse gehen” zeigen. Am nächsten Morgen war eine anonyme Anruferin auf meinem AB, die mir drohte, ich hätte “keine Chance mehr in der Kunstwelt”. (Die Frau des Investors ist eine nicht sehr bekannte Designerin beziehungsweise Künstlerin.) Schon am Nachmittag sperrten Hunderte von PolizistInnen die Gegend um die Kasemmatten ab und ließen die Leute nicht mehr in ihre Häuser. Ein Café musste zumachen, weil die Gäste nicht mehr reingelassen wurden. Als Leute begannen, dagegen zu protestieren, wurden sie geschlagen. Polizisten trampelten auf unserer Leinwand herum. Später bewarfen Andere die Politiker, Investoren und schockierten New-Media-Typen auf dem Weg zur Party, mit Geld. Schorschs und Rockos Video wurde auf einer riesigen Leinwand vor dem Pudel Klub gezeigt, und auf der anderen Seite wurde der Park Fiction Film über die Köpfe der Polizisten hinweg von einem Haus auf das benachbarte projiziert.

Nach diesen Ereignissen bildeten wir eine kurzlebige, aber sehr effektive Gruppe mit dem Namen “wemgehörtdiestadt”, die eine sehr gut besuchte Pressekonferenz abhielt, auf der die Ereignisse analysiert wurden und über die Funktion von Subkulturen und KünstlerInnen im Prozess der Gentrifizierung von runtergekommenen Gegenden diskutiert wurde. Später organisierte die Gruppe einer Diskursbesetzung des Geländes. Der Investor bekam viel schlechte Presse und hat bis heute nicht mehr versucht, eine weitere Veranstaltung auf dem Gelände zu machen. Aber im Frühjahr 2004 ist das Park-Fiction-Gelände auf den Kasematten immer noch eingezäunt.

Gebrochene Versprechen


Als wir 2002 eingeladen wurden, bei der Documenta11 mitzumachen, hatten wir zwei Aufgaben: erstens, politische Kunstprojekte im Allgemeinen und kollaborative im Besonderen scheinen immer beweisen zu müssen, dass sie a) formal präziser, erfindungsreicher und komplexer sind als solche von allein arbeitenden KollegInnen, und b) dass das schon immer der Fall war. Die Park Fiction Installation ist der Versuch, einen Weg zu finden, wie eine kollektive Arbeit, hergestellt von einem Netzwerk aus gesellschaftlichen Bewegungen und KünstlerInnen in einem städtischen Kontext, angemessen in einer Museumssituation dargestellt werden kann. Wir haben eine Lösung entwickelt, die es Menschen, die weder das Projekt noch den Kontext, aus dem heraus es entstanden ist, kennen, erlaubt, einen schnellen Zugang zu den Komplexitäten der Arbeit zu finden. Sie ermöglicht aber auch detailliertere Forschungen, zeigte alle Entwürfe und Flugblätter, und wurde von vielen BesucherInnen stundenlang benutzt.

Auf einer zweiten Ebene spricht die Park Fiction Installation über die Geschichte utopischer Projekte. Es gibt Referenzen zu den frühen revolutionären künstlerischen Experimenten in der Sowjetunion und zu den verratenen Versprechen für eine demokratische Gesellschaft und Bildung-für-Alle der sechziger Jahre. Wir suchten nach Formen, wie man diese unterschiedlichen Materialien wie Zeichnungen, Poster, Flugblätter usw. zeigen könnte, auf eine horizontale Weise, und dabei europäisch-museale Hängetraditionen vermeidet. Die Installation ist eine präzise Intervention in den Diskurs darüber zu verstehen, wie Projekte, die für einen Paradigmenwechsel in der künstlerischen Praxis stehen, in Beziehung zum Museum gesetzt werden können.

Fliegender Teppich


Endlich, nach neun Jahren, ist der erste Teil des Parks realisiert. Zwei Elemente wurden im September 2003 eröffnet: die Palmeninsel oder Teegarteninsel, und der Fliegende Teppich. Da der Sommer 2003 der heißeste war, seit Temperaturen aufgezeichnet werden, wurde der Park sehr stark genutzt, und eine Menge schöner Dinge passieren im Park, die wir gar nicht geplant hatten. Zum Beispiel: Immer wenn die Sonne scheint, um fünf Uhr nachmittags, kommen zwischen 15 und 30 Dreijährige in den Park und spielen auf dem Fliegenden Teppich – eine Altersgruppe, über die wir gar nicht nachgedacht hatten, denn bevor der Park gebaut wurde, war sie in der Öffentlichkeit in St. Pauli gar nicht zu sehen…

Neun Jahre sind allerdings eine zu lange Zeit für so ein kleines Projekt! Wegen des langen Verfahrens und der engen Zusammenarbeit mit den Behörden während der Umsetzungsphase wurden Schlüsselideen des Projekts beschädigt, korrumpiert und vergessen. Es ist gar nicht sicher, ob wichtige Teile des Projekts überhaupt realisiert werden können: der Seeräuberinnenbrunnen, der durchsichtige vergrösserte Stiche von Anne Bonny und Mary Read zeigen soll, die nachts blutrot und giftgrün leuchten, ist noch nicht finanziert, und einer der beliebtesten Entwürfe, das Erdbeerförmige Baumhaus ist zur Zeit ganz aus dem Plan gefallen.

Für uns ist beim Schreiben jetzt in diesem Moment gar nicht klar, ob wir weiter mit den Behörden kooperieren können. Unter der Voraussetzung, dass die zentralen Elemente gebaut werden, und so lange die Idee der Verbindung des urbanen Alltags mit dem Imaginären im Design des Parks sichtbar wird, können wir weitermachen. Aber wenn die Integrität des Projekts korrumpiert wird und die Entwürfe auf den gemeinsamen Nenner uninspirierter Stadtplanung reduziert werden, wie man sie an jeder Ecke sieht, werden wir die Zusammenarbeit mit einem lauten Knall aufkündigen müssen.

Unwahrscheinliche Begegnungen
Ganz unabhängig von diesen Überlegungen und Abhängigkeiten fanden wir es nötig, den Horizont wieder zu erweitern. Als ersten Schritt in Richtung eines Instituts für Unabhängigen Urbanismus organisierten wir im Sommer 2003 den internationalen Kongress Park Fiction presents: Unlikely Encounters in Urban Space. Wir zeigten die Dokumenta 11 Installation direkt auf der Reeperbahn, zwischen transparenten Segeln. Park Fiction Guides aus der Nachbarschaft gaben Führungen durch die Ausstellung und den Park, der Kongress fand in der Disko nebenan statt, in der Hafenstraße, in der Kirche, im Buttclub, im Stadtteilzentrum, uneingeladenerweise in der Hafen City, und auf einem Schiff auf dem Fluss.

Die Idee dieses imaginären Instituts ist es, den Urbanismusdiskurs voranzutreiben, der immer noch nicht als eine eigenständige Linie des Denkens anerkannt wird und der nicht auf Stadtplanung reduziert werden kann. Im Gegensatz dazu sehen wir das Urbane als eine vollkommen andere Kategorie, eine Praxis und eine Art zu Denken, im Gegensatz zum Politischen, dem Staat, und nicht identisch mit dem Demokratischen, und auch im Gegensatz zur einheitlichen künstlerischen Vision. Die Stadt ist eine Akkumulation von Unterschieden, und das Unerwartete lauert hinter jeder Ecke. Einfach ausgedrückt, eine Stadt, in der zu leben es sich lohnt, ist ein Ort der Widersprüche, die nebeneinander leben, sich auftürmen und potentiell endlos weiterwachsen.

Megacities


In der Vergangenheit passierten die interessantesten und wichtigsten gesellschaftlichen und künstlerischen Bewegungen in den größten Städten. Was für eine merkwürdige Situation, wenn doch die meisten Menschen nicht einmal die Namen dieser Städte kennen! Noch wichtiger ist, dass diese Städte hauptsächlich von den Leuten selbst gebaut werden. Der weitaus größte Teil der Gebäude von Mexico City wurde ohne Architekten und Stadtplaner gebaut, und das selbe trifft auf Delhi, Jakarta, Kolkatta, Dhaka, und Buenos Aires zu.

Im Gegensatz zu diesen informellen Städten wirken nordeuropäische Städte, als ob sie nichts anderes sein wollten als dreidimensionale Umsetzungen von Ideologien. Dieses reduzierte Verständnis des Urbanen aufzubrechen war eines der Anliegen von Park Fiction, den öffentlichen Raum für die Wunschproduktion zu öffnen, die Stadt mit dem Imaginären zu verbinden, ausgehend von Erfahrungen des städtischen Alltags. In St. Pauli war unser Ziel, den Senat daran zu hindern, den letzten freien Blick auf den Hafen mit einer Reihe von Gebäuden zu verstellen und stattdessen einen öffentlichen Park zu bekommen. Auf den ersten Blick mag dieses Projekt wie das genaue Gegenteil der Kämpfe in den informellen Siedlungen in den Städten im Süden erscheinen, wo oft ganze Viertel abgerissen werden, weil die Regierung sie durch Parks ersetzen will. Aber für uns sind diese informellen Siedlungen der Horizont möglicher Städte in der Zukunft, Städte, die von der Architektenzunft ignoriert werden, Städte, die die Probleme lösen, die die Moderne nicht lösen konnte. Noch mehr: Diese Städte markieren einen Paradigmenwechsel, weg von der Stadt als einer Aufgabe für Stadtplaner und hin zu einem Produkt der Leute, die in Städten leben. Diese Städte markieren das Ende des westlichen Paradigmas der Moderne. Sie markieren das Ende der klar voneinader getrennten spezialisierten Praktiken und Wissenschaften, ein wirklich tiefer und allgemeiner Bruch.

Konstituierende Praxen


Park Fiction, wie andere neuere kollaborative Projekte, von denen wir einige zum Kongress einladen konnten (Sarai Media Lab aus Delhi, Borderhack und Maclovio Rojas aus Tijuana, Ala Plastica aus La Plata, Cantieri Isola aus Milano, Ligna aus Hamburg), kann nur als der Versuch verstanden werden, künstlerische Praxis unter postindustriellen Bedingungen neu zu definieren. Diese Projekte haben einer ganzen Satz neuer Praxen und Agenden hervorgebracht, die jetzt zur Leitwährung der künstlerischen Praxis werden. Alle anderen künstlerischen Praktiken werden davon beeinflusst, und obwohl KünstlerInnen und der Kunstmarkt immer noch versuchen, die aktuellen Entwicklungen zu ignorieren, sind KünstlerInnen unter Druck, sich auf diese neuen Praktiken zu beziehen, oder sie werden irgendwann so aussehen wie impressionistische MalerInnen in der Epoche des Kubismus. Ein Paradigmenwechsel ist nicht unbedingt ein Wechsel zu etwas besserem, es gibt neue Fallen und Machtstrukturen, aber es gibt auch keinen Weg zurück. Im Rückblick auf meine Erfahrungen mit Park Fiction will ich hier kurz einige der wichtigsten Konzepte dieser neuen Praxis skizzieren. (Ich hoffe, die Verbindung zu meinen Acid House Überlegungen sind sichtbar):

Konstituierende Praxen
konstituieren gesellschaftliche Beziehungen, ohne durch Autoritäten dazu beauftragt worden zu sein. Sie vermeiden es, den Staat direkt zu addressieren, genau wie Grabenkämpfe mit der Macht vermieden werden. Konstituierende Praxen arbeiten lieber auf der Strasse, studieren mit der Nase am Asphalt, verbinden Kunst und gesellschaftliche Bewegungen, erfinden neue Spiele, entwickeln alternative Formen von Wissenschaften, besetzen Land, gründen neue Siedlungen und ganze Städte, definieren den öffentlichen Raum neu – und fordern somit die dominanten Systeme der Stadtplanung und der Realitätsbeschreibung heraus. Dieses Konzept ist verbunden mit der Idee von

Parallel arbeiten


oder (wie die EZLN vor Halloway sagte): Wie man die Welt verändert, ohne die Macht zu übernehmen. Parallel arbeiten ist etwas anderes als Autonomie im alten künstlerischen Sinne – eine Autonomie, die auf das vorgegebene Gefängnis beschränkt ist, beschränkt auf die Größe der Leinwand. Parallel zu arbeiten bedeutet, direkt mit der Realität und mit anderen Menschen zu tun zu haben, aber eine operative Autonomie zu erlangen.

Unwahrscheinliche Begegnungen:
Gruppen, die Werkzeuge, Einstellungen, Mut, Praktiken, Programme entwickeln, die unwahrscheinliche Begegnungen, Treffen und Verbindungen wahrscheinlicher machen, nach ihnen suchen, kulturelle oder Klassenschranken überspringen, hin gehen, wo keiner hingeht. Sie lassen es nicht zu, dass ihre Aktivitäten auf symbolische Aktionen, Spiegelungen, Kritik, Negation, oder eine Analyse ihrer Machtlosigkeit reduziert wird, noch wurschteln sie in der ihnen zugewiesenen Nische vor sich hin.

Plattformen schaffen


… ist schon als Wort und Konzept ein wenig abgedroschen, aber künstlerische Praktiken, die etwas von interesse sein wollen, bilden Plattformen des Austauschs für andere. Die interessanten Produkte reflektieren komplexe Sichtweisen verschiedener Leute und sind nicht linear. Dies hat etwas mit der Erscheinung des “immateriellen Arbeiters” zu tun, der bei weitem nicht nur Werber oder Programmierer ist, sondern genauso gut der Mensch, der einen Straßenstand hat und die ganzen affektiven und netzwerkbildenden Fähigkeiten haben muss, für das die multinationalen Konzerne ganze Abteilungen brauchen. Die Tatsache, dass du heute nichts ohne ein Image verkaufen kannst, dass Image ein harter wirtschaftlicher Faktor geworden ist, gibt denjenigen Macht zurück, die schon immer Bedeutung und Bilder herstellen mussten, ohne Macht zu haben: die KünstlerInnen. Allerdings hat der Kampf begonnen, Bilder zu kontrollieren und Kommunikationskanäle zu blockieren, denn die Macht hat das schon verstanden. Übrigens bedeutet Austausch Austausch und nicht von Oben nach Unten oder Erziehung.

Lokales Wissen – globaler Austausch
Der private Raum – der Ort des Alltagslebens, Alltagswissens und der Alltagspoesie – ist, kulturell, wirtschaftlich und im politischen Denken abgewertet. Aber genau hier ist die Quelle der heraufziehenden urbanen Revolution. Hier bekommt sie ihre Richtung. Wie kann das lokale Wissen in ein Spannungsverhältnis mit den globalen Mächten treten? Wie können lokales Wissen und lokale Bewegungen sich austauschen und die globalen Mächte herausfordern?

Die kollektive Wunschproduktion


Mit anderen zusammenzuarbeiten bedeutet nicht, sich selbst zu beschränken und Sozialarbeiter zu werden. Es bedeutet auch nicht, künstlerische Arbeit auf die Verwaltung der Kreativität anderer zu reduzieren. Projekte, die es nicht schaffen, eine Verbindung mit dem Imaginärenherzustellen, sind keine Kunst. KünstlerInnen, die partizipatorische Projekte im Kunstkontext machen, poetisieren oft nur den langweiligen Status Quo des Kunstsystems, und geben dabei noch den letzten utopischen Funken auf, der noch in einem konventionellen Gemälde aufleuchtet.

Offene Stadt


Wir bekommen oft zu hören, ein Projekt wie Park Fiction sei nur möglich gewesen, weil alle in der Gruppe im Viertel gelebt haben, und dass es nicht reproduzierbar sei. Reproduzierbar ist es nicht, denn Situationen ändern sich schnell, und jeder muss seine eigenen Werkzeuge, Instrumente und örtliche Intelligenz aufbauen, und Gruppen müssen ihren eigenen Rhythmus entwickeln. Ich glaube aber nicht, dass man lokal sein muss. Vielmehr denke ich, dass Städte aus dem Imaginären der Außenseiter, Migranten und Reisenden gebaut werden, die eine Idee davon haben, was ein bestimmter Ort sein könnte. Städte, die keine Offenheit entwickeln, um das Andere, das Außen, aufzunehmen, sind tot. Palmen in Hamburg sind der Beweis: Globalisierung ist unumkehrbar.

Zapatistas
Kurz bevor wir anfingen, 1994, sagten die Zapatistas: Wir beschlossen, damit aufzuhören, den Leuten zu predigen, und damit anzufangen zuzuhören. So sehr wie dieser Satz einen drastischen Umbruch in revolutionärem Denken und revolutionärer Praxis markiert, markieren die heutigen Projekte eine Veränderung in Kunst, sozialer Praxis, Architektur, und Stadtplanung. Zu einer Zeit, in der die Krisenregionen aussehen
wie Modelle der Situation, die den Zentren des Kapitals noch bevorsteht, sind kleine Projekte und unschuldige Acid-Erfahrungen wie diese, Briefe aus einer bald verschwindenden Vergangenheit in eine sehr nahe Zukunft, in der wir die Städte und das gesamte Alltagsleben neu werden erfinden müssen – in einem viel größeren Maßstab. Es sind kleine unwahrscheinliche Begegnungen wie die bei diesem Kongress, wie solche in diesem Buch, wie die informellen Begegnungen im Park, die ein paralleles Universum bilden, die Taschen parallelen öffentlichen Raums, in denen sich die letzte Internationale konstituiert.

Christoph Schäfer, 2004

Veröffentlicht in:Kunst im Stadtraum –
Hegemonie und ÖffentlichkeitHg.: Ralph Lindner, Christiane Mennicke, Silke WaglerDRESDENPostplatz, 2004English original version of this text:
The City is Unwritten
in: Making Their Own Plans,
Ed. Brett Bloom, Ava Bromberg
White Walls / Chicago 2005

Die Stadt ist ungeschrieben
Urbane Erfahrungen und Gedanken, durch Park Fiction gesehen