NEWSLETTER #6: KOMM AUF DEN TEPPICH

(scroll down for English)
Braucht ihr auch so dringend Gedankenfutter wie wir? Unter dem Titel „Public Happiness: Die Rückgewinnung des Öffentlichen“ hat Park Fiction eine Reihe von Events, Vorträgen, Diskussionen und Workshops im Rahmen des Kultursommers Hamburg konzipiert – mehr dazu im nächsten Newsletter.

Denn zum Auftakt sprengen wir gleich mal den kulturbehördlichen Zeitrahmen und erfüllen uns jetzt, Sonntag, den 11. Juli, um 18 Uhr einen Privatwunsch: Wir laden Oliver Marchart zum Vortrag in den Schauermannspark.

Und am Freitag den 16. Juli ist (unabhängig davon) eine Park Fiction Filmnacht im Golden-Pudel-Barboncino. Hey, hey!
AUFMERKSAME LESER*INNEN
…erinnern sich: Gleich in unserem ersten Newsletter hatten wir Oliver Marcharts neuestes Buch „Conflictual Aesthetics“ diskutiert. Darin stellt der Wiener Theoretiker mit Vollbart, der zudem Professor, Magister und Doktor ist, die Frage nach „künstlerisch-performativen und politischen Praktiken der experimentellen Wiedergewinnung von Zukunft, Öffentlichkeit und Repräsentation“.

Ein Schlüsselbegriff ist dabei „Pre-Enactment“, eine „künstlerische Vorwegnahme eines politischen Ereignisses“.

Kommt euch bekannt vor? Stimmt: Niemand geríngeres als Park Fiction selbst hatte bereits Mitte der Neunziger einen „Parallelen Planungsprozess“ enactet, und Aktionen gemacht, die den gewünschten Park vorwegnehmen.

Zum Beispiel bei einem Battle of the Grillsysteme: Kochsalon und Grillmaster Flesh traten damals zum spielerischen Wettbewerb an und stellten Grills zwischen die noch am Pinnasberg parkenden Autos – genau dahin, wo wir alle später einen Park haben wollten, den es jetzt gibt.

Eine Gruppe baute aus Paletten schwebende Plattformen in den Geesthang – aus diesem Versuch wuchs späte das „Inselkonzept“ des Parks.

Und dann war da die Wunschproduktion, die Planung selbst, die wir als Spiel und zunächst ohne verbindliche Realisierungsabsicht für den Stadtteil in Gang setzten.

Für uns war dieses „vorwegnehmende Parallelarbeiten“ eine Möglichkeit, um aus der (besonders Senatsseitig) sehr verhärteten Situation nach der militanten Durchsetzung der Hafenstrasse herauszukommen, und die widerständige Energie der häufig klandestinen und aufreibenden Arbeit der Besetzer*innen in einen Sprung nach vorn zu verwandeln, in eine Einladung zur kollektiven Stadtaneignung. Wir waren uns damals sehr bewusst, was für ein Bruch diese zunächst spielerische „vorweggenommene Demokratisierung“ mit gängigen Praxen sowohl der Widerständigkeit, als auch des reformerischen eingelullt-werdens das war.

Auch wir hatten diese Idee des „parallelen“ nicht aus der Luft gegriffen, sondern waren von den Texten der Zapatistas aus Chiapas begeistert, die (zunächst schweren Herzens) von der Konfrontationspolitik á lá Che Guevara Abstand genommen hatten, und sehr bewusst begannen, 1. Zuzuhören und 2. parallele Strukturen eines besseren Lebens selbst aufzubauen. (John Holloway nannte diese Politik: „Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“). 

Offenbar kamen auch andernorts Menschen auf ähnliche Ideen. Marchart beschreibt Praktiken künstlerischer und politischer Intervention, die bereits in ihren Aktionen utopische Momente dessen verwirklichen, was man politisch eigentlich als Fernziel erreichen will.

Damit wendet sich der Autor (genau wie die Zapatist*innen) gegen die Logiken leninistischen bzw. protestantischen Verzichts, die ein instrumentelles Verhältnis zum politischen Handeln haben. Pre-Enactment ist aber kein Begriff für ein neues künstlerisches Genre, sondern ein Versuch einen Namen für Facetten politischer Zukunftsorientierung, die auf Veränderung zielen, zu finden.

Ähnlich wie Bini Adamczak wendet sich Marchart gegen die Tragik des avantgardistischen Utopismus, der im konkreten politischen Handeln immer nur ein Scheitern vor den großen Idealen sieht. Emanzipatorische Bewegungen seien besser beraten, das vorwegnehmende enacting demokratischer Beziehungen im hier und jetzt, im kleinen Maßstab und als Vorgriff anzugehen. Marchart meint das aber ganz grundsätzlich – und wir freuen uns auf eine Diskussion und Beispiele aus anderen Zusammenhängen.

Sonntag, 11. Juli 18 Uhr, auf unseren neuen Teppichen im Schauermannspark. Eintritt frei. Maske mitbringen.

Gefördert im Rahmen von:



PARK FICTION IM PUDEL

Auch der Golden Pudel Club & Barboncino Zwölphi fährt mit einem tollen Programm zum Kultursommer auf. Eröffnet wird die  Pudel Kopfhörer Open Air Saison mit einem Park Fiction Filmabend, zusammengestellt von Margit Czenki am 16. Juli – wow!
  16. Juli 2021 Film: Park Fiction // Dj Jeanette Trèsbien ab 18.00 Der Abend beginnt um 18:00 mit DJ Jeanette Trèsbien.
Darauf folgt um 21:30 Uhr die Filmvorführung mit Margit Czenki.
Der Vorverkauf beginnt um 18:00 vor Ort im Barboncino Zwölphi (und sind nach dem Prinzip “Pay what you want” erhältlich.)

PARK FICTION – DIE WÜNSCHE WERDEN DIE WOHNUNG VERLASSEN UND AUF DIE STRASSE GEHEN

Margit Czenki, Hamburg 1999, 60 min, Digital von 16mm blow up von Super8 Hamburg, Mitte der Neunzigerjahre: Im körnig-farbigem Super 8 inszeniert Margit Czenki („Komplizinnen“, „Swingpfennig/Deutschmark“) den geschickt aus einer Position der Unterlegenheit heraus geführten Kampf für einen Park am Hafenrand, den St.Paulianer*innen gegen ein millionenschweres Bauvorhaben durchsetzen. Eine Filmcollage über einen Park, den es noch nicht gibt, über Kunst & Politik, über nomadische Kriegsführung, über oszillierende Wünsche. Über die Stadt, und was sie sein könnte. Über sehr unterschiedliche Personen und die Kraft einer Gruppe, die längere Zeit zusammen arbeitet und Ideen produziert. Mit Park Fiction Aktivist*innen und Schorsch Kamerun als Vertreter, der zusammen mit Ted Gaier auch die Musik zum Film beisteuerte. “Die Filmcollage “Park Fiction” ist deshalb so überaus anregend, weil sie plastisch und drastisch macht, wie das kollektive die Wunschproduktion vorantreibt und die von elenden Verhältnissen verdummten Wünsche einander im Wechselspiel immer schlauer und produktiver machen…” schrieb Katha Schulte damals in der Szene Hamburg Toll: Filmemacherin Margit Czenki wird selbst und persönlich in den Film einführen. Sie hat uns ausserdem einen Vorfilm aus dem Pudeluniversum empfohlen:

MEDIANIGHT – WIR SIND DIE BAUHERREN
3min30, von Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun

2001: Während in Berlin die Immobilienpreise in den Keller purzeln, will Hamburg von der rebellischen Hafen- zur Medien- und Werberstadt werden. Wie man „Gentrifizierung“ buchstabiert, weiß noch keiner, als der Senat in Klausmartin Kretschmer einen „Kulturinvestor“ für Problemimmobilien findet, dem er die Rote Flora verkauft – und die Kasematten neben dem Pudel. Dort soll die „Medianight“ stattfinden, ein exklusives Event nur für Werber*innen und ihre Kund*innen. Der Pudel dreht ein uneingeladenes Werbevideo für das Event, Schorsch und Rocko stapfen im Geschäftsführermodus die Baustellen am Hafenrand ab – und Pudel Doktor Norbert Karl wird zum Schirmherrn der Veranstaltung ernannt.    PS:
In unserem letzten NEWSLETTER 5 1/2: UND TÄGLICH GRÜSST DAS PAULIHAUS nahmen wir Bezug auf ein nörgelig charmantes Palmen-Erklr-Video mit Jan Delay. Wir gaubten, das Youtube-Video nach allen Regeln des HTML in den Newsletter eingebettet zu haben, doch ach: Es war nicht so. Irgendwie geht das bei mailchimp nicht. Wer das Video also sehen will, oder den Jungen Leuten da draussen vermitteln will, worum es zwischen Hafenstrasse, Pudel und Park Fiction so geht, klicke auf diesen link: 
https://www.youtube.com/watch?v=qmMw77q1B-Q
 

NEWSLETTER #6
GET ON THE CARPET
 

Are you in need of thought food as much as we are? Under the title „Public Happiness: Reclaiming the Public“ Park Fiction has conceived a series of events, lectures, discussions and workshops as part of the Kultursommer Hamburg – more about that in the next newsletter.

To kick things off, we’re going beyond the time frame set by the cultural authorities, fulfilling a private wish now, on Sunday, July 11, at 6 p.m.: we’re inviting Oliver Marchart to give a lecture in Schauermannspark.

And on Friday, July 16, there will be (independently) a Park Fiction movie night at the Golden-Pudel-Barboncino. Hey, hey!

 
ATTENTIVE READERS
…remember this: In our first newsletter we discussed Oliver Marchart’s latest book „Conflictual Aesthetics“. In it, the Viennese theorist with a full beard, who is also a professor, master and doctor, poses the question of „artistic-performative and political practices of the experimental recovery of the future, the public sphere and representation“.

A key term here is „pre-enactment,“ an „artistic anticipation of a political event.“

Sounds familiar? True: It was Park Fiction itself who had already enacted a „parallel planning process“ in the mid-nineties, and made actions that anticipated the desired park.

For example, at a Battle of the Grill Systems: Kochsalon and Grillmaster Flesh competed playfully at the time, placing grills between cars still parked on Pinnasberg – exactly where we all later wanted a park to exist, which now is there.

One group built floating platforms out of pallets into the Geesthang – the „island concept“ of the park later grew out of this experiment.

And then there was the production-of-desires, the planning itself, which we set in motion as a game and initially without any binding intention of realization for the district.

For us, this „anticipatory parallel work“ was a way to get out of the (especially on the Senate side) very hardened situation after the militant protection of Hafenstrasse, and to transform the resistant energy of the often clandestine and grueling work of the squatters* into a leap forward, into an invitation to collective urban appropriation. We were very aware at the time of what a rupture this initially playful „anticipatory democratization“ was with common practices of both resistance and reformist lulling.

We, too, had not plucked this idea of the „parallel“ out of thin air, but were enthusiastically inspired by the texts of the Zapatistas from Chiapas, who had already distanced themselves from the politics of confrontation á lá Che Guevara and very consciously began to build parallel structures of a better life themselves. John Holloway called this policy: „Changing the world without taking power“.

Apparently, people elsewhere were coming up with similar ideas. Marchart describes practices of artistic and political intervention that already realize in their actions utopian moments of what one actually wants to achieve politically as a distant goal.

In this way, the author (just like the Zapatistas) turns against the logics of Leninist or Protestant renunciation, which have an instrumental relationship to political action. Pre-Enactment, however, is not a term for a new artistic genre, but an attempt to find a name for facets of political future orientation that aim at change.

Similar to Bini Adamczak, Marchart turns against the tragedy of avant-garde utopianism, which always sees in concrete political action only a failure before the great ideals. Emancipatory movements are better advised to approach the anticipatory enacting of democratic relations in the here and now, on a small scale and as an anticipation. Marchart means this in a very basic way, however – and we look forward to a discussion and examples from other contexts.

Sunday, July 11 6pm, on our new carpets in Schauermann Park. Free admission. Bring a mask.

Sponsored as part of:

 

PARK FICTION AT THE PUDEL

The Golden Pudel Club & Barboncino Zwölphi also has a great program for the cultural summer. The Pudel Headphones Open Air season will open with a Park Fiction film evening, put together by Margit Czenki on July 16 – wow!

July 16, 2021
Film: Park Fiction // Dj Jeanette Trèsbien

from 18.00

The evening starts at 18:00 with DJ Jeanette Trèsbien.
This will be followed by the film screening with Margit Czenki at 21:30.
Advance booking starts at 18:00 on site at Barboncino Zwölphi (and are available on a „pay what you want“ basis).

(All in German Language)